Die verschwundene Miniatur by Erich Kästner

Die verschwundene Miniatur by Erich Kästner

Autor:Erich Kästner
Die sprache: deu
Format: mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Als die beiden Wachtmeister vom Polizeirevier eintrafen, wurden sie von den Kurgästen umringt, deren Kleider und Anzüge gelitten hatten. Man forderte in allen Tonarten Schadenersatz.

»Das geht uns nichts an«, erklärten die Schutzleute. »Das müssen Sie dem Wirt melden.«

Die Gäste stürzten oder humpelten zum Büfett, je nachdem. Hinterm Büfett stand der Direktor und kippte einen Schnaps nach dem andern. Er hatte die Nerven verloren und trank hastig eine Flasche leer, die heil geblieben war. Die zwei Wachtmeister wateten durch das Trümmermeer und begaben sich zu der alten Garderobenfrau, von deren Erlebnissen sie telefonisch schon gehört hatten.

Sie saß draußen im Gang und hielt ihren Strickstrumpf in den zitternden Händen.

»Sie haben die Kerle gesehen?« fragte der eine Wachtmeister.

»Jawohl«, sagte sie eifrig. »Zwei waren’s. Sie kamen dort durch die Hintertür und machten den kleinen elektrischen Schrank auf. Ich fragte, was das bedeuten solle. Aber sie antworteten überhaupt nicht. Ich wollte nun in die Küche laufen und wen holen. Da hielt mich der eine fest. Der andre nahm mir meinen Strickstrumpf weg. Mir blieb vor Schreck der Mund offenstehen. Und plötzlich hatte ich meinen Strickstrumpf drin. Sie setzten mich auf den Stuhl und drehten ihn so, daß ich nicht sehen konnte, was sie anstellten. Na ja, und kurz darauf wurde es stockfinster.«

»Und als es wieder hell wurde?«

»Da waren die zwei Kerle natürlich weg«, erklärte die alte Frau. »Und ich saß da und hatte Halsschmerzen.«

»Weiter wissen Sie nichts?«

»Das ist alles. Und beim Schlucken habe ich Stiche.«

»Schlucken Sie möglichst wenig!« riet einer der Wachtmeister.

Der andere fragte: »Paul, verstehst du das? Ich nicht!«

»Ich auch nicht«, entgegnete Paul. »Zwei Männer kommen, machen dunkel und hauen wieder ab! Und hinterher sieht das Lokal wie ein Trödelladen aus.«

»Vielleicht waren es Leute von der Konkurrenz«, meinte die Garderobenfrau.

Die Wachtmeister grinsten. Sie wußten zwar auch nichts. Aber besser wußten sie’s!

Nun tauchte im Türrahmen ein großer alter Mann auf. Er führte eine bildhübsche junge Dame, die sich nicht besonders wohl zu fühlen schien. Der Mann sagte: »Wir müssen Sie dringend sprechen. Gestatten Sie, Külz ! «

»Schadenersatzansprüche sind beim Lokalinhaber geltend zu machen«, versetzte der eine Wachtmeister.

Herr Külz lachte bitter. »Wenn der Wirt sechsmalhunderttausend dänische Kronen übrig hat, können wir’s ja versuchen!«

»Wieso sechshunderttausend Kronen?« fragte der Schutzmann, der auf den Vornamen Paul hörte. »Ist denn etwas gestohlen worden?«

»Sie sind gut«, sagte Külz. »Dachten Sie, hier geht das elektrische Licht zum bloßen Vergnügen aus? Der Dame ist eine Miniatur gestohlen worden. Von ... Von ...«

»Von Holbein!« ergänzte Irene Trübner.

»Vornamen?« fragte der eine Wachtmeister.

»Hans«, meinte die junge Dame.

»Aha!« rief der andere Wachtmeister. »Das ist wenigstens etwas! Hans Holbein heißt er!«

»Von wem reden Sie denn?« fragte Külz.

»Na, von dem Dieb, dem Hans Holbein!«

»Menschenskind!« rief Külz. »Holbein ist doch der Maler!« Er reckte sich stolz. Wissen ist Macht. »Der Dieb ist wer ganz anderes. Der Dieb, das sind zirka zwei Dutzend Diebe! Seit Kopenhagen sind sie hinter uns her. Auf dem Trajekt haben sie mir die Kopie der Miniatur geklaut. Das war eine glänzende Idee von Fräulein Trübner. Vorhin haben sie mir aber die Kopie wieder zurückgebracht. Sie lag plötzlich auf dem Tisch.



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